Friday 1 April 2011

Amerikas Erbe


Wir alle lieben die USA. Sollten wir zumindest. Schließlich waren es die Soldaten der Vereinigten Staaten die an den Küsten der Normandie und in den verschneiten Wäldern der Ardennen ihr Leben ließen um das besetzte Europa von den Besatzern und Deutschland von sich selbst zu befreien. Ohne sie müssten wir vielleicht heute im Stechschritt marschieren, dreimal am Tag Sauerkraut essen und mit Panzern zur Arbeit fahren. Dafür sind wir auch aufrichtig dankbar.
Später meinten sie dann, dass wir ohne sie eine sozialistische Sowjetrepublik geworden wären. Dafür waren wir dann nicht mehr so dankbar und ließen durch Harald Schmidt den Amerikanern ausrichten, dass sie ohne uns Europäer noch immer Indianer wären.
Als sie dann den Irak befreien wollten weil man George W. Bush gesteckt hatte, dass nur Präsidenten, die auch Krieg geführt hatten, in den Geschichtsbüchern als große Präsidenten geführt werden, war dann schließlich niemand mehr davon überzeugt dass wir ohne ihren Angriff als islamistische Republik enden würden.
Viele Amerikaner waren über unsere Weigerung erst verwirrt, dann traurig, und schließlich wurden sie zornig. Sie bezichtigten uns des Treuebruchs, verwiesen darauf, dass sie es seien, die stets die Kartoffeln aus dem Feuer holen müssten, wir sie dann aber essen würden und benannten vor lauter Wut ihre Kartoffeln um in Freedom fries. Dabei übersahen sie nur einen wichtigen Aspekt: Wir wollten die Kartoffeln deshalb nicht aus dem Feuer holen weil wir eben gesehen hatten, wie sich die Amerikaner daran immer wieder die Finger verbrannt hatten.
Und, weil wir gesehen haben, wie sie beim Versuch, die Kartoffeln herauszuholen, soviel Glut verschüttet haben, dass die ganze Grillstelle plötzlich Feuer fing.
In diesem Fall hieß die Kartoffel Vietnam und die Grillstelle Indochina. Und wie Amis halt so sind, versuchten sie den Brandherd mit Benzin zu löschen.
Na ja, jetzt wird´s doch langsam etwas zu kryptisch. Was ich eigentlich in diesem Essay beschreiben möchte ist meine Wut über die Angewohnheit etlicher amerikanischer Regierungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges ständig in neue Kriege zu ziehen die keiner braucht, während die Länder, welche als Schlachtfelder herhalten mussten bis heute mit den Folgen zu kämpfen haben. Ich muss zugeben dass mich dieses Thema vor einer bestimmten Erfahrung in meinem Leben eigentlich kaum beschäftigt hat. Bevor ich auf eine längere Rucksacktour durch Südostasien aufbrach wusste ich nicht einmal dass ein Land namens Laos überhaupt existierte
Und Vietnam war für mich ein geheimnisvolles und exotisches Land, welches man aus Filmen zu kennen glaubte in welchen US-Soldaten von Kampfhubschraubern aus zu Musik von Wagner auf flüchtende Menschen mit Reishüten ballerten. Das ist es irgendwie immer noch, da ich nie dort war. Dafür konnte ich die anderen beiden vom Vietnamkrieg betroffenen Länder, nämlich Laos und Kambodscha bereisen und von dort eindrückliche und tiefsitzende Impressionen mit nach Hause nehmen.
In beiden Ländern sind die Spätfolgen auf Menschen und Landschaft eines Krieges, der zwar nach Vietnam benannt wurde, aber zu großen Teilen auch in dessen Nachbarländern stattfand,
bis heute sichtbar. Laos zum Beispiel, ein Binnenland und etwa siebenmal so groß wie die Schweiz, war im Vietnamkrieg offiziell neutral. Es verlief jedoch ein großer Teil der Hauptnachschubroute der Vietcong, der Ho-Chi-Minh Pfad, über laotisches Territorium. Die USA bombardierten dieses Gebiet deshalb mit allem was ihnen in den Sinn kam: unter anderem warfen sie Bierdosen ab, um die vietnamesischen LKW-Fahrer betrunken zu machen, auch flüssige Schmierseife, welche die Gefährte des Feindes aus der Spur bringen sollte kam zum Einsatz. Vor allem aber luden die B-52 Bomber tödliche Fracht ab. Laos wurde in fünf Jahren mit einer Bombenlast belegt, die der Gesamtbombenmenge entspricht die während des WK2 auf Japan und Deutschland abgeworfen wurde. Viele dieser Bomben stecken noch heute im Boden, stellen eine Gefahr für die Bauern dar und verseuchen durch ihre Chemikalien das Erdreich. Es wurden so viele Bomben abgeworfen dass einem, wenn man durch das Land reist, Gartenzäune aus aufgeschweißten Granathülsen zum alltäglichen Anblick werden. Man sieht Kinder in Badewannen sitzen die aus der unteren Hälfte einer riesigen Clusterbombe bestehen, die Aschenbecher in den Hotels bestehen aus mittig durchgesägten Fliegerbomben und so mancher Dorfteich wurde nicht mit der Schaufel gegraben sondern entpuppt sich als Bombentrichter. All das sind natürlich gern fotografierte Motive und man vergisst leicht, dass immer wieder spielende Kinder, welche die Bombletten von Clusterbomben auch wegen mangelnder Bildung nicht als das erkennen was sie sind oder Bauern bei der Arbeit von Blindgängern zerfetzt oder verstümmelt werden weil sie die Bomben nicht als solche erkennen oder aufgrund ihrer Armut versuchen diese aufzubrechen um sie als Metallschrott verkaufen zu können.
Als die amerikanischen Generäle erkannten dass sie mit ihren bisherigen Taktik, welche wohl als Vernichten durch Ausbombung umschrieben werden kann, nicht den gewünschten Erfolg erzielen konnten, beschlossen sie dem Problem mit dem Einsatz von drei Special Agents auf den Leib zu rücken: Agent White, Agent Blue und dem am meisten bekannten Agent Orange.
Bei diesen drei Spezialagenten handelt es sich um hochwirksame Herbizide zur Waldvernichtung, welche zwar in den USA zugelassen waren, allerdings mit einem weit geringeren Dioxinanteil als dem, welcher in Vietnam und Laos beigemischt wurde. Dieser lag neunmal so hoch wie der in den USA vorgeschriebene Grenzwert. Zur Erinnerung: Dioxin ist der krebserregende Stoff der bei uns hin und wieder für Lebensmittelskandale sorgt, wenn er in unseren Frühstückseiern auftaucht.
In Indochina kam er jedoch nicht durchs Hühnerei, sondern aus der Luft, ausgebracht von US-Flugzeugen ohne Hoheitszeichen (warum wohl), welche von 1961 auf Befehl Kennedys bis 1971 über 70 Millionen Liter Herbizide, also die 70-fache Menge der täglichen Bierproduktion der Flensburger Brauerei, versprühten.
Unter den langfristigen Folgen dieser chemischen Attacken leidet das Land noch heute: Wer die unmittelbaren Folgen der Gifteinsätze überstand, sah sich mittel- und langfristig erheblichen gesundheitlichen Folgen ausgesetzt, die auch – auf unterschiedlichen Wegen – auf die nachfolgenden Generationen weitergegeben wurden. Bedingt durch die mutagene Wirkung von Agent Orange ist die Missbildungsrate bei den Nachkommen der Dioxin-Opfer bis zu zehn Mal so hoch wie bei der nicht betroffenen Bevölkerung. Und diese Missbildungen sind so grotesk und schrecklich, dass man vergeblich nach vergleichbarem in der Geschichte sucht. Viele der Babys kommen mit fehlenden Gliedmaßen zur Welt, sind geistig behindert oder werden gleich tot geboren. In einer Fernsehdoku wurden Kinder ohne Augenhöhlen, mit verstümmelten Armen und Beinen und am Unterleib zusammengewachsene Zwillinge gezeigt, welche zudem in einer Gesellschaft aufwachsen in welcher die Behinderung eines Kindes oft als Strafe der Ahnen aufgefasst wird und das betreffende Kind nicht selten sein Leben lang vor den Augen der Gemeinschaft versteckt gehalten wird.
Ich habe auf meinem Trip viele junge US-Amerikaner getroffen die sich aufgrund dieser Tatsachen für ihr Land zutiefst schämten und die hoffentlich bei sich zuhause ein anderes Bild der Dinge als ihre Regierung zeichnen werden.
Denn diese ist auch heute noch in ignoranter und zynischer Weise weder an der Beteiligung der Bomben-und Minenräumung, der Wiederherstellung der Umwelt und an der Linderung der Folgen für die Betroffenen interessiert oder beteiligt. Lediglich die eigenen Soldaten welche an dem Kontakt mit dieser Chemikalie erkrankten wurden vom Hersteller mit 240 Millionen entschädigt. Im Gegenzug ließen sich die Chemie-Multis bescheinigen, dass Agent Orange nicht für die Leiden der Vietnam-Veteranen verantwortlich sei.
Angesichts all dieser Tatsachen wäre die neue amerikanische Regierung deshalb gut beraten, wenn sie erst einmal für die Beseitigung der Folgen ihrer letzten Kriege aufkommen würde anstatt schon wieder für einen neuen Krieg zu sparen. Hoffen wir, dass sie die richtigen Berater hat.

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